Joachim Löw hat seinen Titeljägern gleich zum Start in die WM-Saison das Motto für den langen Weg zum Traumziel Maracanã diktiert. Mit einer öffentlichen Trainingseinheit sorgten Philipp Lahm und Co. am Montag bei tausenden Fans in Mainz trotz Regens schon für beste Fußball-Laune. «Das Niveau bei der WM wird hoch sein. Viele wollen den Titel. Aber unsere Chancen stehen gut. Wir haben die Klasse und alle Chancen, aber die Spitze ist eng beieinander», sagte der Bundestrainer vor dem Testländerspiel zum Saisonauftakt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Paraguay am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) in Kaiserslautern.
Schon der erste Schritt der Nationalspieler Richtung Brasilien 2014 hatte am Montag Symbolkraft. Zu einer der seltenen öffentlichen Übungsstunden der DFB-Stars im Mainzer Bundesligastadion kamen rund 20 000 Fans und feierten die DFB-Auswahl frenetisch. Passen mussten für den Showact die maladen Dortmunder Ilkay Gündogan (Rücken) und Marco Reus (Erkältung). Ein Einsatz des Duos am Mittwoch scheint derzeit aber nicht gefährdet.
Auf einen seiner wichtigsten Mitarbeiter kann Löw wohl auch in Brasilien sicher bauen. Assistent Hansi Flick schloss am Montag einen schnellen Wechsel auf den Sportdirektorenposten aus. «Es ist klar, dass ich bei allen positiven Ratschlägen alleine entscheide. Für mich ist erstmal wichtig, das Spiel gegen Paraguay zu absolvieren und die WM-Qualifikation in trockene Tücher zu bringen», sagte Flick. Der Traum vom Titel am Zuckerhut motiviert auch den 48-Jährigen. «Wir haben eine Riesenchance. Es ist klar, dass ich meinen Beitrag leisten möchte», sagte er auch zu seinen eigenen WM-Perspektiven.
Alle wissen: Nur mit einem großen Schulterschluss ist der WM-Pokal in 335 Tagen im Fußball-Heiligtum Maracanã von Rio de Janeiro zu gewinnen. Viel Zeit für Schnupperkurse hat Löw nicht. Vor seiner schwersten und womöglich letzten Titelmission muss der DFB-Chefcoach seine hoffnungsvolle Auswahl nicht nur sportlich vorbereiten, sondern auch Lektionen in brasilianischer Mentalität und Landeskunde vermitteln.
«Es wird eine WM des unbedingten Willens, der Einstellung und der Anpassung. Man kann da nicht eben seine eigenen Vorstellungen verwirklichen und glauben, es läuft alles so ab wie in Deutschland», sagte Löw angesichts extremen Klimas und komplizierter Logistik im WM-Gastgeberland dem «Kicker».
Nicht umsonst hat der Bundestrainer - im Gegensatz zu früheren Jahren - gleich zum ungeliebten August-Termin seine bestmögliche Auswahl nominiert, inklusive der nun sieben Auslandsprofis aus England, Spanien und Italien. Auch die für die Startelf gesetzten Sami Khedira, Mesut Özil und Miroslav Klose stecken bei Real Madrid und Lazio Rom noch in der Saisonvorbereitung. Ihr Leistungsstand ist vor dem Duell gegen den Tabellenletzten der WM-Qualifikation in Südamerika «schwer einzuschätzen», gibt der Bundestrainer zu.
Lukas Podolski hält den eine Woche späteren Saisonstart in der Premier League für kein Problem. «Die Kollegen haben ja am Wochenende schon Gas gegeben. Ich freue mich immer, dabei zu sein. Mal sehen, wie der Bundestrainer das Team aufstellt», sagte der Wahl-Londoner, der seinen Stammplatz im DFB-Trikot verloren hat, nach seiner Ankunft in Mainz.
Aus dem derzeit absehbaren WM-Kader fehlen gegen Paraguay nur die Münchner Bastian Schweinsteiger, Mario Götze und Toni Kroos sowie der beim Bundesliga-Auftakt an der Achillessehne verletzte Schalker Julian Draxler beim Beginn des WM-Countdowns. Schweinsteiger und Götze sollen nach Absprache von Löw und Bayern-Trainer Pep Guardiola ihre körperlichen Defizite nach den Sommer-Verletzungen in heimischer Umgebung aufholen. Kroos freut sich auf die Geburt seines Kindes und darf daher mit «vollstem Verständnis» des Bundestrainers bei seiner hochschwangeren Frau bleiben.
Der harte Wettkampf um die 23 Plätze im WM-Kader hat schon begonnen. «Wir haben eine Situation, die für mich als Trainer wünschenswert ist. Wir haben eine große Breite», sagte Löw. Gleichzeitig erwartet er von vielen seiner Akteure vor dem Kraftakt am Zuckerhut aber noch eine Leistungsexplosion.
Auch Podolski, turniererfahren seit 2004, sieht noch Steigerungspotenzial. «Wir haben eine enorme Qualität. Das hat man ja in den letzten Länderspielen und Turnieren gesehen. Aber um noch mal einen weiteren Schritt nach vorne zu machen, müssen noch ein paar Dinge abgestimmt werden.»
Auftaktgegner Paraguay ist für den Bundestrainer eine Blaupause südamerikanischer Fußballkultur, die es zu verinnerlichen gilt. «Es ist keine Aufwärmübung, sondern ein ernsthafter Test», sagte Löw. Ernsthaftigkeit ist eine Leitvokabel für Löw auf dem Weg zur WM. Mit einem Zusatz-Lehrgang im Winter will der 53-Jährige weiter an der Titeltauglichkeit arbeiten. An der Direkt-Qualifikation gibt es als souveräner Tabellenführer der Gruppe C ohnehin keinen Zweifel mehr.