Die große Jubiläums-Party läuft bislang störungsfrei. Bis zum großen Finale der 100. Tour de France mit der Flutlichtankunft am Sonntagabend auf den Champs Élysées gab es - anders als in den Jahren zuvor - nicht einen Dopingfall.
Der Verdacht bleibt trotzdem auch bei der Frankreich-Rundfahrt ein ständiger Begleiter. Zu groß ist das Glaubwürdigkeitsproblem des Radsports. Vor allem der Träger des Gelben Trikots, der Brite Christopher Froome, muss sich angesichts seiner erdrückenden Überlegenheit Vorverurteilungen und Spekulationen gefallen lassen. Der 28-Jährige, der fast sicher die Nachfolge seines Landsmannes Bradley Wiggins als Toursieger antreten wird, wehrt sich nach Kräften. Doch Anti-Doping-Experten wie der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel bleiben skeptisch.
«Zwei Tour-Sieger hintereinander für die Engländer, das überrascht schon. Wir Deutschen hatten einen, und da war's schon Betrug», sagte Sörgel der Nachrichtenagentur dpa. «Man wird wohl auf die Nachanalysen setzen müssen, und zwar nicht nur die unmittelbaren wie in der jüngeren Vergangenheit.» Sörgel mag den Beteuerungen von Froome und dessen Team Sky, dass die Dominanz des Gesamtführenden allein auf Training und Talent basiert, nicht recht glauben: «Das ist alles zum Staunen, nahe an Armstrongs dopingoptimierten Leistungen. Er bleibe ein Phänomen, «wie Usain Bolt, Michael Phelps, Mark Spitz und Co.»
Seit Froome das Maillot Jaune vor fast zwei Wochen erstmals übergestreift hat, ist kein Tag vergangen, ohne dass er zum Thema Doping Stellung nehmen musste. «Ich kann sagen, dass dies starke, saubere, sportliche Leistungen sind», erklärte er am Donnerstag nach der Königsetappe in L'Alpe d'Huez zum wiederholten Male. Unterstützung erhielt Froome von seinen Kollegen. «Ich bin sicher, dass Froome sauber ist», sagte der geständige Ex-Doper David Millar der französischen Zeitung «L'Equipe». Der Schotte gilt seit seiner Katharsis als glaubwürdiger Anti-Doping-Aktivist.
Auch der Etappensieger von L'Alpe d'Huez, der Franzose Christophe Riblon, sprang dem Tour-Spitzenreiter bei. «Er hat die Kritik im Moment nicht verdient», sagte der 32 Jahre alte Profi. Stattdessen solle die Konkurrenz versuchen, von den Trainingsmethoden des Teams Sky zu lernen, um selbst besser zu werden. Die Zukunft werde zeigen, «ob er sauber ist.»
Der britische Erfolgs-Rennstall hatte schon vor der schweren Alpenetappe eine PR-Offensive gestartet und der «L'Équipe» auf deren Anfrage alle Daten Froomes bei 18 Bergankünften seit der Spanien-Rundfahrt 2011 übermittelt. Veröffentlicht wurden die Daten auf Wunsch des Teams jedoch nicht. Die Zeitung legte sie stattdessen dem französischen Experten Fred Grappe, Trainer beim Konkurrenz-Team FDJ, vor. «Seine gezeigten Leistungen in den vergangenen beiden Jahren stimmen mit dem von ihm präsentierten Profil überein», sagte der Wissenschaftler der Zeitung.
Unklar bleibt allerdings wie aussagekräftig die Daten tatsächlich sind. So soll bei Froome bisher noch nie die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) bestimmt worden sein, mit der sich Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit ziehen lassen. «Wenn er gedopt ist, dann wird man ihn im Vertuschen eines Tages vor Armstrong einordnen müssen», erklärte Experte Sörgel. «Denn Froome fährt unter ganz anderer Beobachtung als Armstrong und hat sicher noch kein kriminelles Netz um sich aufgebaut.»
Das Betrugssystem des inzwischen lebenslang gesperrten Armstrong flog erst Jahre nach seinen sieben, nun ungültigen Toursiegen auf, weil die US-Anti-Doping-Behörde USADA hartnäckig ermittelte. Ähnlich wie Armstrong, der eine Hodenkrebserkrankung überlebte, wurde auch Froome trotz einer schwerwiegenden Krankheit erst so richtig schnell. Der Vorjahreszweite wird immer noch an der Tropenkrankheit Bilharziose behandelt. Die kritischen Fragen für Froome werden so schnell jedenfalls nicht verstummen.
Auch bei Nachtests wurden schon Betrüger gefasst. Etwa 2008 als die französische Anti-Doping-Agentur AFLD zur Überraschung der Doper zusätzlich auf die EPO-Variante CERA getestet hatte. Damals hat es auch die beiden Gerolsteiner-Profis Stefan Schumacher und Bernhard Kohl erwischt.
In diesem Jahr sitzt die Französische Anti-Doping-Agentur AFLD bei den Dopingkontrollen erstmals seit 2009 wieder mit im Boot. Die Zusammenarbeit mit dem für die Tests zuständigen Weltradsportverband UCI verläuft reibungslos. Man teste gezielt, unter anderem auf CERA und Wachstumshormone, heißt es. Froome gibt sich entspannt. Er habe nichts zu verbergen.