Die olympische Welt muss sich auf einen Paradigmenwechsel einstellen. Kaum war der Applaus für seinen historischen Olympiasieg vorbei, wurde der neue IOC-Präsident Thomas Bach auch schon programmatisch.
Der Jurist aus Tauberbischofsheim will Olympia den Athleten zurückgeben und das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu einer stärkeren gesellschaftspolitischen Macht entwickeln.
«Wir müssen uns klar machen, was das IOC tun kann, wofür wir da sind und was wir nicht machen können. Das IOC kann nicht unpolitisch sein», erklärte der 59-Jährige nach dem Ende der 125. IOC- Vollversammlung in Buenos Aires gleich auf seiner ersten Pressekonferenz als neuer starker Mann im IOC. «Wir müssen erkennen, dass Olympische Spiele politische Auswirkungen haben, aber um unsere Rolle zu erfüllen, müssen wir politisch neutral sein.» Bach will den Ringe-Orden für Diskussionen mit hochrangigen Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur öffnen und eine professionellere Entscheidungsfindung fördern.
Der gerade gewählte Ober-Olympier hielt sich nach seinem souveränen Zweitrundensieg nicht lange mit Feiern auf. Es gibt viel zu tun. Bereits am kommenden Dienstag will Bach in seiner neuen Wahlheimat Lausanne die Geschäfte auf- und die wichtigsten Akten von seinem Vorgänger Jacques Rogge übernehmen. Der 71 Jahre alte Belgier wurde zum Abschied nach zwölfjähriger Amtszeit von seinen Kollegen mit Ovationen gefeiert - Bach mit langem Beifall und viel Lob begrüßt. «Bach ist eine sehr gute Wahl. Er ist ein ehemaliger Olympier und sieht die Welt mit den Augen der Athleten», sagte der ehemalige Vorsitzende der IOC-Athletenkommission, Frankie Fredericks (Namibia), über den Fecht-Olympiasieger von 1976. Bach ist der erste Olympiasieger, der IOC-Präsident wurde, und der achte aus Europa.
Bach gilt als Workaholic und Perfektionist. «Er hat eine starke Persönlichkeit und ist stark genug, nein zu sagen», kommentierte IOC-Marketingchef Gerhard Heiberg, «das ist gut so.» Der politische Druck auf das IOC ist enorm. Wladimir Putin gehörte zu den ersten Gratulanten Bachs. Der Kremlchef wollte sein mehr als 50 Milliarden Dollar teures Lieblingsprojekt in seiner Sommerresidenz Sotschi in guten Händen wissen. «Er hat mir gratuliert und eine enge Zusammenarbeit zugesagt, damit die Spiele in Sotschi ein Erfolg werden», berichtete Bach nach seinem Gipfelsturm.
Die problembeladenen Winterspiele vom 7. bis 23. Februar im russischen Sotschi sind gleich seine erste Herausforderung und ein Beleg für die Expansionsgier der Ringe-Organisation. Auch die Spiele in Rio 2016, Pyeongchang 2018 und Tokio 2020 versprechen lukrative neue Märkte - und große Schwierigkeiten auf Kosten der Athleten. Terrorgefahr, Menschenrechtsverletzungen, internationale Empörung über das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz und die Kostenexplosion belasten das Ringe-Spektakel in Sotschi - und das IOC-Selbstverständnis von Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit.
Anders als Rogge scheint Bach entschlossen, sich der Verführungskraft des Geldes nicht zu ergeben. Der ehemalige Chirurg aus Belgien wollte stets seine Geschäftstüchtigkeit beweisen und verkündete kurz vor seinem Ausscheiden noch stolz, die Reserven des IOC seien auf knapp eine Milliarde Dollar gewachsen. Für Bach ist Geld dagegen eher Mittel zum Zweck, behauptet er. «Olympische Spiele sind die Existenzberechtigung des IOC», schrieb er in seinem Wahlmanifest «Einheit in Vielfalt». Ziel müsse es sein, «optimale Olympische Spiele zu veranstalten und nicht den Gewinn zu optimieren».
Alle Entscheidungen müssten nach dem Sport, seinen Werten und den Athleten ausgerichtet werden - auch die überfällige Reform von Rogges gescheiterter Programmpolitik. Der ehrgeizige Stratege will einzelne Disziplinen streichen, um Raum für Neues zu schaffen statt wie Rogge ganze Sportarten zu eliminieren. «Ob man 302 Entscheidungen bei Olympia hat oder 308 oder 310 spielt nicht wirklich eine Rolle», meinte Bach.
Sein Masterplan sieht zudem vor, den Bewerbungsprozess für potenzielle Olympia-Gastgeber und die allgemeine Mitgliederstruktur in der Ringe-Organisation zu erneuern. Die erste wichtige Personalie für sein Vorhaben ist bereits abgesegnet. Der Australier John Coates wurde zum IOC-Vize gewählt und könnte Bach als Vorsitzender der juristischen Kommission ablösen. Als zweite Schlüsselmaßnahme wäre Richard Pound (Kanada), Ex-Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur, als neuer Marketingchef für den freiwillig ausscheidenden Heiberg denkbar. Pound und Bach hatten früher sehr erfolgreich in der Marketingkommission zusammengearbeitet.
«Thomas Bach ist der neue Olympia-Papst», schrieb die spanische Sportzeitung «Marca» am Mittwoch. Nicht nur der Umzug nach Lausanne wird Bachs Leben dramatisch verändern. Auch seine zahlreichen Ämter wird er weitgehend niederlegen müssen. Bereits auf der nächsten Präsidiumssitzung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am 16. und 17. September in Frankfurt will er von seinem Posten als DOSB-Chef zurücktreten; Präsident der deutsch-arabischen Handelskammer Ghorfa wird er ebenfalls nicht bleiben können.
Nur seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender bei der Weinig AG in Tauberbischofsheim, Weltmarktführer für holzverarbeitende Maschinen, würde er gern behalten. Die Firma wird von Anteilseignern aus Kuwait kontrolliert - der einflussreiche IOC-Spitzenfunktionär Scheich Ahmad al-Sabah, vermeintlicher Königsmacher von Bach, kommt ebenfalls daher. In Putin und dem Scheich hat der fränkische Strippenzieher zwei mächtige Unterstützer. Bach hat die Regentschaft im Weltsport bereits übernommen. Die olympische Welt ist gerade dabei, Deutsch zu lernen.